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Einzelhandel und Innenstadtentwicklung

Fakten zu Behauptungen rund um das Thema Einzelhandel und Innenstadtentwicklung in München.


Quelle: Unsplash

Faktencheck

München als Standort des überregionalen Einzelhandels ist von den anhaltenden Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie besonders betroffen.

Corona ist der Todesstoß für Bayerns Innenstädte. Der Münchner Innenstadt droht die Verödung.

Der durch die Corona-Pandemie beschleunigte Umbruch im Einzelhandel ist eine Chance für die Innenstädte.

In der Tat haben sowohl die pandemiebedingten Schließungen als auch der verstärkte Umsatz im Onlinehandel direkte Auswirkungen auf den Einzelhandel und die Gastronomie in Münchens Innenstadt. Nichtsdestotrotz gibt es eine Vielzahl an Konzepten und Ideen, wie das Stadtzentrum zukünftig gestaltet werden kann. Werden diese Möglichkeiten von den beteiligten Akteuren erkannt und umgesetzt, so kann der stattfinde Umbruch eine Chance für eine attraktive und zukunftsfähige Innenstadt darstellen.

Die Erklärung für Interessierte:

1. Einleitung

»Die Innenstädte veröden«, so lautet bereits im Dezember 1993 die Überschrift eines Spiegel-Interviews mit dem damaligen Vorstandsvorsitzenden von Karstadt, Walter Deuss. Seitdem hat sich das Einkaufs- und Konsumverhalten auf Grund der Möglichkeiten durch Onlineshopping und Lieferangebote drastisch verändert. So stieg der Umsatz des Onlinehandels in Deutschland von 1,3 Milliarden Euro im Jahr 2000 auf ca. 73 Mrd. Euro im Jahr 2020. Gleichzeitig nutzen immer mehr Menschen den Service von Essens- oder Lieferdiensten.

Noch einmal verstärkt durch die Schließungen im Zuge der Corona Pandemie, haben beide Entwicklungen zur Folge, dass die Innenstädte mit ihren Geschäften, Restaurants und Hotels immer mehr an Bedeutung verlieren und sich die Frage stellt, welche Rolle den Stadtzentren zukünftig zufallen soll.

Hierzu ist es zunächst sinnvoll, kurz auf die historische Entwicklung von Innenstädten und deren zeitliche Bedeutung einzugehen, bevor der Status Quo sowie aktuelle Herausforderungen der Stadtzentren dargestellt werden. Anschließend sollen Szenarien, Handlungsmöglichkeiten und Best-Practice-Beispiele aufgezeigt werden, welche Funktionen Innenstädte zukünftig erfüllen können und wie der Weg dorthin aussehen kann.

2. Status Quo & Herausforderungen

München gilt laut der Analyse verschiedener Immobilienberatungsunternehmen als der führende Einzelhandelsstandort in Deutschland. Zum einen hält München seit Jahren eine Spitzenposition als eine der dynamischsten deutschen Wirtschaftsregionen. Zum anderen ist die Arbeitslosenquote eine der geringsten in Deutschland. Damit lässt sich auch die hohe Kaufkraft erklären. Zwar sank diese im Jahr 2020 coronabedingt um 2,3 Prozent auf 32.912 Euro je Einwohner. Allerdings liegt sie damit knapp 38 Prozent über dem Bundesdurchschnitt und stellt im Vergleich der deutschen Großstädte die höchste Kaufkraft pro Kopf dar. Außerdem befinden sich mit dem Landkreis Starnberg (31.836 Euro je Einwohner) und dem Landkreis München (31.433 Euro je Einwohner) zwei der vier kaufkraftstärksten Landkreise Deutschlands in unmittelbarer Nachbarschaft zur bayerischen Landeshauptstadt. Auch bei Betrachtung des Umsatzes des lokalen Einzelhandels pro Kopf der ansässigen Bevölkerung innerhalb eines Jahres erreicht München einen Bestwert. Im Jahr 2017 fiel dieser Wert um 48,5 Prozent höher aus als im Bundesdurchschnitt. Im gesamten Stadtgebiet Münchens betrug die Einzelhandelsfläche im Jahr 2018 ca. 1,81 Millionen Quadratmeter. Rund eine halbe Millionen Quadratmeter der Verkaufsfläche entfielen dabei auf das Stadtzentrum.

Die pandemiebedingten Einschränkungen und Schließungen im Jahr 2020 hatten zur Folge, dass der Einzelhandelsumsatz aller Sparten in ganz Bayern zwar um 6,4 Prozent anstieg, jedoch verzeichneten der stationäre Einzelhandel mit Bekleidung, Schuhen und Lederwaren (- 8,1 %), der Einzelhandel an Verkaufsständen und Märkten (- 9,8 %) sowie der stationäre Einzelhandel mit Informations- und Kommunikationsgeräten (- 3,6 %) ausschließlich Umsatzrückgänge. Die spartenübergreifende Umsatzsteigerung ging hingegen vor allem auf die Bereiche Lebensmittel (6,2 %) und Onlinehandel (23,9 %) zurück. Zwar werden vergleichbare Statistiken für München nicht erhoben, jedoch ist davon auszugehen, dass sich hier ein ähnliches Bild zeichnet.

Laut einer Studie des Immobilienverbands IVD fielen außerdem die Einzelhandelsmieten im ersten Halbjahr 2021 bundesweit um durchschnittlich zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr. Am stärksten betroffen waren laut der Untersuchung die Ladenmieten in München. So waren die Mieten für kleine Ladenflächen dort um fast 27 Prozent günstiger als in der ersten Hälfte 2020. Zum Vergleich: In Stuttgart waren die Mietkosten um 20 Prozent, in Berlin und Düsseldorf um jeweils 12 Prozent geringer ausgefallen. Hingegen fielen die Rückgänge in Klein- und Mittelstädten mit rund einem bis gut fünf Prozent deutlich niedriger aus. Laut den Autoren der Studie sei dies vor allem auf das niedrigere Mietpreisniveau vor der Pandemie in diesen Städten zurückzuführen. Dort gab es somit weniger Spielraum, die Mieten zu senken als in größeren Städten mit vergleichsweise hohen Mieten. Die bundesweite Leerstandsquote im Einzelhandel lag laut IVD zuletzt bei 20 Prozent. Dies entspricht einer Steigerung um rund ein Drittel im Vergleich zum Vor-Pandemie-Niveau. Zudem sei erkennbar, dass es einen Trend hin zu kürzeren Mietverträgen und kleineren Flächen gäbe. Laut einer Studie des IVD vom Dezember 2022 kam es nach der Corona-Pandemie selbst in Top-Lagen zu längerfristigen Leerständen, sowie einer relativ hohe Fluktuation. So wechselten bspw. allein in der Kaufingerstraße jeweils 17 Prozent der Geschäfte zwischen September 2021 und September 2022 ihren Besitzer. In anderen „Toplagen“ wie der Leopoldstraße oder dem Marienplatz lag die Fluktuationsquote auch auf einem hohen Niveau von acht bzw. neun Prozent.

Die Erkenntnisse des IVD decken sich weitgehend mit einer im November 2021 vorgestellten Studie der imakomm-Akademie. Die Autoren der nationalen Studie „Zukunftsfeste Innenstädte“ kamen zu dem Ergebnis, dass der Leerstand im Einzelhandel in Deutschland im Zuge der Pandemie um fast 50 Prozent zunehmen könnte. Vor der Corona-Krise im Jahr 2019 lag die Quote leerstehender Geschäfte bei rund zehn Prozent. Längerfristig sollte sie laut der Erhebung bei 14 oder 15 Prozent liegen. Die Zahl der Einzelhändler könnte zukünftig um 14 Prozent sinken. Besonders deutlich soll sich der Leerstand in den sogenannten B- und C-Lagen zeigen. So wird ein Anstieg von 13 auf 21 Prozente in C-Lagen und von zehn auf 15 Prozent in B-Lagen prognostiziert. Hingegen verändere sich die Quote leerstehender Geschäfte in den A-Lagen deutschlandweit nur gering von sieben auf acht Prozent. Zudem soll sich die zukünftige innerstädtische Besucher- und Kundenfrequenz im Vergleich zum Vor-Corona-Niveau in der Zeit zwischen 9 und 18 Uhr um neun Prozent und zwischen 12 und 14 Uhr um sechs Prozent verringern.

Sowohl die IVD- als auch die imakomm-Studie kommen zu dem Schluss, dass der Handel im Internet erhebliche Auswirkungen auf den stationären Einzelhandel in den untersuchten Kommunen hat. Zwar wurde bereits im 19. Jahrhundert der erste Versandhauskatalog herausgebracht und in den 1920er-, 1930er und 1940er-Jahren wurden viele zum Teil noch bis heute existierende Versandhäuser gegründet (Baur Versand (1925), Quelle (1926), Vorwerk (1930), Otto-Versand (1949). Allerdings erreichte das Fernabsatzgeschäft erst mit der kommerziellen Nutzung des Internets und der Gründung von Unternehmen wie eBay oder Amazon im Laufe der 1990er- und 2000er eine ganz neue Dimension. Zwischen den Jahren 2001 und 2011 lag der Zuwachs des Onlineumsatzes in Deutschland bei jährlich konstant über 20 Prozent. Zudem betrug der Umsatzzuwachs, bis auf eine Ausnahme im Jahr 2018, seitdem immer mehr als 10 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die während der Corona Pandemie aufgekommen Trends „Click & Collect“, „Click & Meet“ sowie das „Livestream Shopping“ haben diese Tendenz weiter verstärkt.

So wurden laut HDE Online-Monitor 2023 im Laufe des Jahres 2022 rund 5,0 Mrd. Euro (5,9 % des Onlineumsatzes gesamt) im Rahmen von Click & Collect, also dem Bestellen von Ware online oder über das Telefon und der anschließenden Abholung der Bestellung im Laden, umgesetzt. Bei einer Untersuchung des Handelsverbands gaben 39 Prozent der Internetnutzer und Internetnutzerinnen an, diese Möglichkeit des Einkaufens 2022 genutzt zu haben. 75 Prozent gaben 2023 an, mit dem Begriff etwas anfangen zu können. 2017 lag dieser Wert noch bei lediglich 13 Prozent.

Mit der Zunahme des Onlinehandels ist auch dessen Anteil am Umsatzvolumen des gesamtdeutschen Einzelhandels stetig gewachsen. Betrug der Anteil im Jahr 2000 lediglich 0,3 Prozent, so wurden 2021 bereits 14,7 Prozent der Einzelhandelsumsätze in Deutschland online generiert. 2022 sank diese Zahl leicht auf 13,4 Prozent.

Werden bei den Berechnungen die Umsätze für Lebensmittel inkl. Getränken und Tabak herausgerechnet, betrug der Umsatzanteil des Onlinehandels 2021 sogar über 21 Prozent und 2022 18,6 Prozent.  Demgegenüber ist ein Umsatzanteil von 2,9 Prozent (2022) im Food Bereich noch vergleichsweise gering.

Jedoch wurde in diesem Bereich in den letzten Jahren ein deutlich stärkeres Wachstum verzeichnet. Zwischen den Jahren 2012 und 2020 wuchs der Umsatz von Lebensmitteln, die Online gehandelt wurden, um 23,8 Prozent im Vergleich zu 12,2 Prozent Wachstum im Non-Food Bereich. Von 2019 zu 2020 steigerte sich der Umsatz gar um knapp 60 Prozent und somit knapp drei Mal so hoch wie im Non-Food Bereich (21,3 Prozent).

Der Trend, Lebensmittel vermehrt online zu bestellen, kann auch auf den Bereich der Gastronomie übertragen werden. So erhöhte sich, wie bereits eingangs erwähnt, der Gesamtumsatz von Online-Essensbestellungen 2020 um ca. 22 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Zwischen 2017 und 2022 haben sich die Nutzerzahlen etwa verdoppelt. Ein stetiges Wachstum dieser Branche wird auch für die kommenden Jahre vorausgesagt. So soll sich der Umsatz in Deutschland im Jahr 2024 laut einer Prognose auf ungefähr 2,5 Mrd. Euro belaufen, was jedoch einer Stagnation gleichkommt.

Obwohl viele Restaurants während der Pandemie ihre Speisen auch über Liefer- und Abholdienste angeboten haben, musste die Branche erhebliche Umsatzeinbußen hinnehmen. Gleiches konnte im Bereich der Hotellerie festgestellt werden. Im Vergleich zu 2019 fiel der bayernweite Umsatz des Gastgewerbes im ersten Jahr der Pandemie um 39,3 Prozent geringer aus. Dabei lag der jahresdurchschnittliche Umsatzausfall im Bereich der Beherbergung bei – 44,3 Prozent und in der Gastronomie bei -36,0 Prozent.

Quelle: Bayerisches Landesamt für Statistik

Auch in München zeigt sich beim Blick auf den Vergleich von 2019 und 2020, dass die Zahl der Übernachtungen, abgesehen von den Monaten Januar und Februar, im ersten Jahr der Pandemie deutlich unter dem Vorjahresniveau lagen.

Quelle: LH München

Die bereits erwähnte Studie der imakomm-Akademie kommt für das Gastgewerbe zu dem Schluss, dass die Zahl der Gastronomen langfristig um sechs bis sieben Prozent sinken könnte. Ebenso gehen die Studien-Autoren hinsichtlich der Entwicklungen der Gästezahlen in der Innenstadt von einem Rückgang von vier bis fünf Prozent der geschäftsbezogenen Übernachtungen und von zwei bis drei Prozent des geschäftsbezogenen Tagestourismus aus. Hingen sollen laut der Prognose die freizeitbezogenen Übernachtungen um 9 Prozent und der freizeitbezogene Tagestourismus um 13 Prozent ansteigen.

Basierend auf den vorgestellten Entwicklungen hat das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in einer von der Friedrich-Naumann-Stiftung in Auftrag gegebenen Studie insgesamt vier zentrale Herausforderungen für die Zukunft der Innenstädte identifiziert:

1.   Digitale Transformation des Einzelhandels
Durch die fortschreitende Digitalisierung ist der internationale E-Commerce der größte Konkurrent des stationären Handels und macht dessen Monopolstellung streitig. Gleichzeitig zwingen veränderte Kundeninteressen den traditionellen Einzelhandel sich zu transformieren. Unternehmen, die diese Wandlung nicht mitmachen wollen oder können, müssen um ihre Existenz fürchten.

2.    Erreichbarkeit der Innenstadt und ihre Rolle als Verkehrsknotenpunkt
Das seit Jahren zunehmende Verkehrsaufkommen in den Innenstädten führt zu verstopften Straßen und einer hohen Nachfrage nach Parkplätzen. Zwar hat sich im Zuge der Corona Pandemie die Verkehrssituation temporär entspannt, allerdings müssten alternative und umweltfreundlichere Mobilitätskonzepte dennoch stärker gefördert und ausgebaut werden. Innerstädtische Mobilität neu zu organisieren ist daher eine zentrale stadtplanerische Herausforderung.

3.    Steigende Waren- und Lieferströme
Durch ihre Lage am Stadtrand führen Logistikzentren heutzutage zu einem erhöhten Verkehrsaufkommen in der Stadt. Neben gesteigerten Emissionswerten führt dies auch zu einem erhöhten Platzbedarf. Innovative Konzepte, die sich heute schon in Pilotphasen befinden, zu fördern sowie flächendeckend zu verbreiten stellt somit eine Lösung dar, den innerstädtischen Verkehr zu entlasten.

4.    Aufrechterhaltung eines lebhaften Zentrums mit Aufenthaltsqualität
Der Einzelhandel als zentraler Anziehungspunkt der Innenstadt verliert zunehmend an Bedeutung. Gleichzeitig sind Naherholungs- und Grünflächen heutzutage eher rar in deutschen Stadtzentren. Um den Erlebnisfaktor der Innenstädte mehr in den Fokus zu stellen, bedürfe es daher einem ganzheitlichen Konzept, das die Erhöhung und Aufwertung des Wohnflächenanteils, ein kluges Stadtmarketing sowie urbane Gestaltung einschließt. Die Herausforderung für Kommunen besteht somit darin, ein solches Konzept trotz knapper finanzieller und personeller Ressourcen umzusetzen.

Dass die Bedürfnisse der Menschen nicht mehr mit der traditionellen Gestaltung der Innenstadt übereinstimmen, zeigt eine repräsentative Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung. So gaben über die Hälfte der Befragten an, dass sie mehr Sitzbänke, attraktive Aufenthaltsbereiche, beruhigte Zonen sowie öffentliche Grünflächen im öffentlichen Raum vorfinden wollen.

3. Szenarien, Handlungsmöglichkeiten und Best-Practice-Beispiele

Um den aufgezeigten Entwicklungen zu begegnen, gibt es mittlerweile eine Vielzahl an Konzeptvorschlägen, die mögliche Weiterentwicklungen der Innenstädte skizzieren.

Eine im Raum stehende Möglichkeit wäre die verstärkte Umwandlung von Gewerbe- zu Wohnraum. Z. B. würden sich laut Michael Held vom Bauprojektentwickler Terragon im Stadtzentrum auf Grund der guten Erreichbarkeit und auf Grund des demografischen Wandels Wohnformen für ältere Menschen, wie etwa dem betreuten Wohnen, besonders anbieten.

Für Iris Schöberl von der Immobilienfondsgesellschaft BMO Real Estate Partners Germany müsse die durch den Einzelhandel geprägte Monokultur der Innenstädte durch vielseitigere Konzepte aufgebrochen werden. Hierzu zähle etwa die Möglichkeit der Interimsnutzung von Flächen- und Gebäuden, um jungen Projekten gute und gleichzeitig preiswerte Lagen zu ermöglichen und Leerstandskosten zu vermeiden. Hierzu sei allerdings eine unterstützende Verwaltung notwendig, die unter anderem auch dazu bereit wäre, Regelungen zu lockern und flexibler zu agieren.

Laut Prof. Thomas Krüger von der Hamburger Hafen City Universität sei die Zeit vorbei, in der die Innenstädte nur noch dem Konsum dienen könnten. Immer mehr Menschen würden online einkaufen gehen und falls sie doch einen Laden aufsuchen, dann entweder einen in der unmittelbaren Nähe oder in größeren Shoppingcentern. Für ihn soll die Innenstadt der Zukunft nicht nur ein Ort des Konsums sein, sondern auch Raum bieten, „was zu erleben, um Freunde zu treffen, um Konzerte zu hören, um ganz tolle, besondere Angebote zu sehen, um Kunst und Kultur zu genießen und nebenbei noch einzukaufen.“ Hierfür müsse die Innenstadt wieder als Mitte der Stadt wahrgenommen werden, in der sich Menschen als soziale Wesen statt als Konsumenten begegnen. Gastronomie- und Einkaufsmöglichkeiten müssten daher durch Plätze ohne Konsumzwang ergänzt werden, an denen bspw. auch kostenlose Kulturangebote gemacht werden könnten. Durch freiwerdende Ladenflächen sei auch der Platzbedarf für verschiedene Projekte und Ideen gegeben. Um Innenstädte zukünftig anders zu gestalten, bedürfe es laut Krüger ein Innenstadtmanagement, in dem Menschen mit Fachwissen aus Handel, Kultur und Immobilien arbeiten. Kommunen allein könnten diese Aufgabe nicht bewerkstelligen.

In der bereits weiter oben erwähnten Studie des Fraunhofer Instituts IAO wurden vier Handlungsfelder für den Wandel der Innenstädte definiert und deren Innovationspotenziale erläutert:

1. Lokale Wertschöpfung und innerstädtischer Handel

Digitalisierung des stationären Einzelhandels

Zwar seien digitale Vertriebskanäle mittlerweile auch im traditionellen Einzelhandel angekommen, jedoch bestehe hier weiterhin großes ungenutztes Potenzial. Kommunen könnten den Einzelhandel stärken, indem sie z. B. Online-Portale und digitale Marktplätze anbieten, die das lokale Angebot bündeln und somit ein hybrides (offline und online) Einkaufen ermöglichen. Ein bereits bestehendes Beispiel eines solchen Angebots stellt das Einkaufs- und Erlebnisportal LiKE-Lippstadt dar.

Aufwertung des stationären Einzelhandels

Um den bestehenden Einzelhandel attraktiver zu machen und sein Alleinstellungsmerkmal deutlicher herauszustellen, sei zudem ein konsequenter „Consumer first“- Ansatz hilfreich. Einkaufen müsse daher zu einem Erlebnis werden, das bspw. durch die Integration von Spielplätzen in Einkaufsstraßen die Bedürfnisse der ganzen Familie bedienen könne. Ebenso sei es möglich, dass sich Einzelhandelsunternehmen und Grundstücksinhaber zu sogenannten Business Improvement Districts zusammenschließen und sich verpflichten, die nähere Umgebung durch gemeinsame Maßnahmen aufzuwerten.

Regionale Wirtschaftskreisläufe durch urbane Produktion

Eine weitere Maßnahme zur Weiterentwicklung von Innenstädten ist die Ansiedlung von Produktionsstätten in urbanen Gebieten. Dies könne zu mehr Beschäftigung, Aufwertung des räumlichen Umfeldes sowie zu Steuermehreinnahmen führen. Allerdings sei dabei auf eine emissionsarme und ressourceneffiziente Produktions- und Transportweise zu achten.

Urbane Landwirtschaft

Durch professionelle, landwirtschaftliche und gartenbauliche Aktivitäten im städtischen Ballungsgebiet kann eine unmittelbare Nähe zwischen Verbraucherinnen und Verbrauchern und Absatzmärkten hergestellt werden. Logistikprozesse ließen sich so optimieren und gleichzeitig könnten Emissionen und Kosten reduziert werden. Allerdings steht das Konzept der urbanen Landwirtschaft im Konflikt mit dem herrschenden Platzmangel in Städten. Daher sei es notwendig, Konzepte zu entwickeln, die diesen Zielkonflikt überwinden. Als Beispiel führen die Autoren der Studie eine im Londoner Untergrund betriebene Gemüsefarm oder das Projekt inFARMING an, das Technikforschung und Umsetzungskonzepte für urbane Landwirtschaft auf Dächern vertreibt.

2.    Städtischer Transport

Innovation in der Innenstadtlogistik

Beim Thema Innenstadtlogistik geht es vor allem um die Anlieferungen von Waren an Unternehmen und Geschäfte sowie die Zustellung von Paketen an Einzelpersonen. Die größte Herausforderung ist dabei die Zunahme des Lieferaufkommens bei gleichzeitig geringen Lagerkapazitäten. Um dieser Herausforderung zu begegnen, bedürfe es z. B. eines digital gestützten Lieferzonenmanagements, das etwa durch sensorbasierte Verkehrsschilder in Kombination mit der Nutzung einer Smartphone-Applikation die Möglichkeit bietet, freien Ladezonen in Echtzeit anzeigen zu lassen und diese ggf. zu reservieren. Die Nutzung von Lastenrädern könnte ebenso zu einer verbesserten Innenstadtlogistik beitragen. Allerdings seien hierfür wiederum Plätze notwendig, an denen Waren von Lieferfahrzeugen auf Lastenräder umgeschlagen werden können. Zudem müsse ein intelligentes Raum- und Auftragsmanagement dafür sorgen, dass sämtliche Maßnahmen übergreifend gebündelt und optimal eingesetzt werden.

Neue urbane Mobilitätkonzept

Neben der Logistik ist eine zentrale Herausforderung, den Verkehr im Innenstadtbereich zu entlasten. Hierfür müssen einerseits vorhandene Flächen effizienter genutzt werden. Andererseits müssen alternative Konzepte so gestaltet werden, dass sie auch eine wirkliche Alternative zum motorisierten Individualverkehr darstellen. Die Studienautoren sehen in digital gestützten Mobilitätsdiensten für den Einzelhandel eine Möglichkeit, dies zu erreichen. So besteht bereits heute im Rahmen des Projekts likebike in Tübingen die Möglichkeit, dezentral platzierte E-Lastenräder per App auszuleihen und für den Transport von Einkäufen zu nutzen.

3.    Aufenthalt und Erlebnis

Nutzungs-Konzepte zur Belebung der Innenstadt

Um der sinkenden Passanten-Frequenz und der zunehmenden Leerstandsquote in deutschen Innenstädten zu begegnen, benötige es innovative Nutzungs-Konzepte, die die Stadtzentren wieder zu attraktiven Anziehungsorten werden lassen. Hierzu zählen temporäre Aktionen im Erlebnisraum Innenstadt, wie etwa Pop-up-Bewegungsangebote auf Park- oder Verkehrsflächen oder Augmented Reality Navigation durch die Innenstadt, um den Nutzerinnen und Nutzern zu ermöglichen, eine Stadt selbstständig zu erkunden.

Schaffung innovativer und vielfältiger Gastronomieangebote

Zudem spielt das Gastronomische Angebot im städtischen Raum eine zentrale Rolle bei der Weiterentwicklung der Innenstädte. Kulinarische Vielfalt gilt dabei als essenziell um verschiedene Gruppen anzusprechen und die Besucherfrequenz zu erhöhen. Derzeit stellen der hohe Flächenbedarf und die damit verbundenen hohen Mietkosten ein Problem für die Gastronomie dar. Zudem unterliegt das Konsumverhalten einem Wandel. Lösungen für diese Herausforderungen wären daher flexible und temporäre Gastronomie-Konzepte, die kulinarische Vielfalt bedienen. Durch die einfach umsetzbaren Pop-up-Straßenlokale könnte zudem das Problem des erhöhten Flächenbedarfs begegnet werden. Hierzu müsste Gastronomiebetreibern flexibel und unkompliziert gestattet werden, angrenzende Parkflächen oder nicht für Gastronomie nutzbare Flächen temporär zu beziehen.
 
Individuelle urbane Räume durch Integration der Kreativwirtschaft
Neben dem Einzelhandel und der Gastronomie weisen die Autoren der Studie der Kreativwirtschaft eine wichtige Bedeutung für die Zukunft der Innenstädte zu. Kreativität und Kultur wird als zentraler Standortfaktor wahrgenommen. Daher ist es wichtig, der Branche den nötigen Raum zur Entfaltung und Präsentation ihrer Arbeit zu ermöglichen. Dies gelinge z. B., indem Gewerbeflächen geteilt und / oder unterschiedlich genutzt würden. Das bedeutet, dass die gleiche Fläche je nach Tageszeit oder Saison einer anderen Nutzung unterliegt. Neben Mietkosteneinsparungen kann dies außerdem vorherrschenden Flächenkonflikte minimieren. Wie die dazu nötige branchenübergreifende Zusammenarbeit gestaltet werden kann, zeigt sich am Beispiel der Vienna Design Week. Neben Design- und Kunstschaffenden beteiligen sich auch Akteure aus der Stadtplanung und der Soziologie daran, gemeinsam Maßnahmen und Projekte zu entwickeln, die sich mit sozialraumorientierten Designlösungen auseinandersetzen.

4.    Identität und Image

Systematische Imageaufwertung durch Stadtmarketing

Heutzutage stehen Städte in einem Wettbewerb zueinander. Das Image und die Identität einer Stadt gelten daher als einflussreiche Faktoren für deren Attraktivität. Um diese Faktoren positiv zu beeinflussen und zu nutzen, ist ein mit personellen und finanziellen Ressourcen ausgestattetes kundenorientiertes Stadtmarketing entscheidend. Durch den Einsatz innovativer digitaler Instrumente können aber auch diese Kommunen ihre Attraktivität steigern. Ein digitales Stadt- und Standortmarketing mittels Virtual Reality (VR) und 360-Grad-Anwendungen bspw. vermittelt Standortinformationen, die vor Ort nicht ersichtlich sind. So könnten neben Fakten zu historischen Orten Informationen über Einzelhandelsunternehmen und Gastronomiebetriebe bereitgestellt werden.

Neue Konzepte für innerstädtisches Wohnen

Um der steigenden Wohnungsnachfrage und der zunehmenden Gentrifizierung entgegenzuwirken, werden in der Studie neue Wohnkonzepte vorgeschlagen. Neben der Nachverdichtung durch etwa den Dachgeschossbau und dem Zusammenschluss zu Baugemeinschaften sollen Wohnformen wie das Co-Housing einen Beitrag zum innerstädtischen Wohnen bieten. Dabei teilen sich die Bewohnerinnen und Bewohner eines ganzen Häuserblocks Küche, Bad, Autos sowie die Außenanlagen.

4. Entwicklungen in der Münchner Innenstadt

Die Münchner Stadtverwaltung hat erkannt, dass sich die Innenstadt, trotz vergleichsweise geringem Leerstand, weiterentwickeln muss. So führt die Stadtbaurätin Elisabeth Merk aus:

Wir brauchen attraktive Freiräume in der Stadt, wo sich Menschen auch begegnen können und ich denke, die Eigentümer, aber auch die Unternehmen müssen eine größere Offenheit zeigen, auch neue Nutzungskonzepte mit neuen Akteuren einzugehen, und dann beispielsweise ihre Ladenlokale auch nach Umsatzmiete zu vermieten, um da einfach mehr Spielraum zu eröffnen.

Die Landeshauptstadt München hat ein Freiraumquartierskonzept in Auftrag gegeben, das die Potenziale der Freiräume in der Innenstadt bestimmen soll. Hierzu werden Erkenntnisse und Daten aus der Bestandsaufnahme der bestehenden Grünräume, vorhandene Planungen sowie der Zukunftsvision einer „autofreien“ Altstadt zusammengeführt. Anschließend sollen auf Basis dieser Grundlagen verschiedene Handlungsansätze entwickelt sowie konkrete Empfehlungen für Einzelprojekte formuliert werden.

Für Experten wie Professor Benedikt Boucsein von der Technischen Universität München (TUM) ist klar, dass der Innenstadtbereich auf jeden Fall grüner werden muss, um den steigenden Temperaturen durch den Klimawandel entgegenzuwirken. Neben Baumpflanzungen überlege das Referat für Stadtplanung und Bauordnung auch, ehemalige Seitenarme der Isar oder Bachzuläufe offenzulegen.

Weitere Beispielprojekte zur Weiterentwicklung der Münchner Innenstadt
  • Bereits vor Corona geplant, ist im Zuge der Sanierung der Alten Akademie für das Gebäude eine Mischnutzung vorgesehen. Neben Büros, Läden und Gastronomieangeboten entstehen in dem Komplex ebenfalls rund 60 Mietwohnungen. Als Verweilort für die Besucher wird zudem ein bisher geschlossener Innenhof geöffnet. Restaurierte Arkaden sollen zum Bummeln einladen. Im November 2021 wurde bekannt, dass das Schweizer Pharmaunternehmen Novartis einen weiteren Sitz in Deutschland in der Alten Akademie eröffnen wird. Dazu wurden von Novartis sämtliche zu vergebende Büroflächen angemietet. So sollen ungefähr 500 neue Arbeitsplätze in München entstehen.
  • Ein weiteres Beispiel ist der Umbau des ehemaligen Karstadt Sports am Stachus zu einem Mixed-Use-Gebäude. Ende 2021 wurde bekannt, dass rund ein Drittel der Fläche zukünftig von der Max-Planck-Gesellschaft langfristig angemietet wird. Durch diesen Schritt möchte die Forschungsgesellschaft ermöglichen, dass die insgesamt 215 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Instituts für Innovation und Wettbewerb unter einem gemeinsamen Dach arbeiten können. Bislang sind die Angestellten auf einen Hauptsitz und zwei Außenstellen verteilt. Zudem sollen im ehemaligen Karstadt Sports 50 Bibliotheksarbeitsplätze entstehen, die sowohl von intern als auch von extern zugänglich sein sollen. Die verbleibenden Büroflächen sind für Einzelhandel, Gastronomie und weitere Büros vorgesehen. Insgesamt soll ein mittlerer zweistelliger Millionenbetrag in das Gebäude investiert werden.

Beide Projekte, sowohl die Alte Akademie als auch der ehemalige Karstadt Sports, zeigen neue Nutzungsmöglichkeiten von Gebäuden auf, die zuvor unvorstellbar gewesen wären. Die Innenstadt als zentraler Anlaufpunkt für Mitarbeitende, der gleichzeitig auch der Vernetzung mit anderen Akteuren dient, könnte in Zukunft immer wichtiger für Unternehmen werden. So wäre es durchaus denkbar, dass sich Teile des Trends, Büros auf Grund der niedrigeren Mieten in Außenbezirken zu eröffnen, in naher Zukunft wandeln werden.

Ein weiteres Beispiel für die alternative Nutzung von Flächen in der Stadt wurde in einem Pilotprojekt getestet:

  • Im Sommer 2021 war es den Münchnerinnen und Münchner laut einem Beschluss des Stadtrats erlaubt, nach bewilligten Anträgen bei den jeweiligen Bezirksausschüssen sowie beim Kreisverwaltungsreferat sogenannte Stadtterassen auf freien öffentlichen Plätzen zu errichten. Diese bestanden aus wetterfesten Möbeln und sollten von jedem nutzbar und frei von Konsumzwang sein. Die Stadtterassen hatten zur Auflage, dass sie zwischen sechs und 75 Quadratmeter groß sein durften, mindestens 50 Meter Abstand zu Freischankflächen einhalten mussten, Musik verboten war und es für jede Terrasse Verantwortliche geben musste, die sich um Sauberkeit und Sicherheit kümmerten. Für den Antrag wurde eine Verwaltungsgebühr von 50 Euro fällig. Anfang August 2021 wurden drei solcher Terrassen genehmigt. Vier weitere Anträge lagen der Verwaltung vor. Im Mai 2022 beschloss der Stadtrat im Kreisverwaltungsausschuss, das Projekt dauerhaft zu genehmigen.

 

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