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Überhängendes Baurecht in München

1. Bauüberhänge in Deutschland

Quelle: www.pexels.com
Der Bausektor steht Mitte 2023 vor enormen Herausforderungen. Mehrere Krisen wie Covid-19 oder der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die damit einhergehende Energiekrise wirken sich negativ auf Bauplanungen und die generelle Preisentwicklung aus.
Dadurch kommt es zu dem immer größer werdenden Problem des sogenannten Bauüberhangs. Dieser Begriff beschreibt das Ungleichgewicht bzw. die negative Differenz zwischen genehmigten Bauanträgen einerseits und den tatsächlich fertiggestellten Bauvorhaben andererseits. Der Trend ging in den letzten Jahren in Deutschland da hin, dass die Anzahl der Baugenehmigungen zwar stieg oder zumindest stabil blieb, der Bauüberhang jedoch anstieg.
Deutschlandweit entfällt fast ein Viertel des Bauüberhangs auf die 14 deutschen Großstädte mit mehr als 500.000 Einwohnern. Ganze 69,5 Prozent der Überhänge sind im städtischen Raum. Gesamt betrachtet lag der Bauüberhang Ende 2021 in ganz Deutschland bei ca. 845.000 Wohnungen.
In einem Beitrag des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBRS) zur regionalen Verteilung des Bauüberhangs in Deutschlands aus dem Jahr 2022, kann man bundesweit sowohl eine Stagnation von Baugenehmigungen und auch Fertigstellungen bei als auch gleichzeitigem einen Anstieg der Bauüberhänge feststellen.

Abbildung 1: Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung“ (www.bbsr.bund.de)

Auffallend ist, dass bei 40 Prozent aller Bauüberhänge von Wohnungen im Jahr 2021 noch nicht einmal mit dem Bau begonnen wurde, obwohl bei ca. einem Drittel die Baugenehmigungen bereits 2018 und 2019 erfolgten.

2. Wie entstehen Bauüberhänge?

Im Juli 2023 veröffentlichte das BBSR eine Studie zu Struktur und Gründen von Bauüberhangen, für die baustatistische Zahlen bis 2019 untersucht wurden. Folgendes konnte das BBSR feststellen:

  1. Genehmigungsinduzierter Bauüberhang
    • Der genehmigungsinduzierte Bauüberhang beschreibt den in der Natur der Sache liegenden Abstand zwischen Genehmigung und Fertigstellung eines Gebäudes und ist als neutral oder prinzipiell positiv zu bewerten.
    • In diesem Fall bedeutet eine hohe Zahl an Bauüberhängen auch, dass viele Wohnungen oder Gebäude im Bau oder in der Vorbereitung sind.
  1. Verlängerung der Baudauer (von Genehmigung bis Fertigstellung)
    • Negativ zu bewerten ist jedoch, dass es bei 42 Prozent aller Bauanträge zu einer Verlängerung der mittleren Baudauer kommt. Das gilt sowohl für Ein- und Zweifamilien- als auch für Mehrfamilienhäuser.
    • Diese Verlängerung führt dazu, dass die Projekte oftmals nicht mehr im selben oder darauffolgenden Jahr realisiert werden und sich die Fertigstellung so immer weiter nach hinten verlagert. 2015 wurden beispielsweise 50 Prozent der Geschosswohnungen in 1-2 Jahren fertiggestellt. 2019 gelang das nur noch 36 Prozent.
  1. Verlängerung der Bauphase (von Baubeginn bis Fertigstellung)
    • Ein weiterer Grund für den Anstieg der Bauüberhänge ist, dass auch die eigentliche Bauzeit der Projekte immer länger wird.
    • Etwaige Bremsfaktoren wie Beschwerden von Nachbarn haben hierauf jedoch keinen größeren Einfluss, da beispielsweise die Zeit zwischen Genehmigung und Baubeginn konstant blieb.
  1. Kapazitätsüberlastung der Baufirmen
    • Befragungen in der Bauwirtschaft haben ergeben, dass die hohe Auslastung der Baufirmen in den letzten Jahren, wenn nicht mehr der Baufortschritt die Zeitpläne für die einzelnen, aufeinander aufbauenden Gewerke bestimmt, eine wichtige Ursache für Bauüberhänge sind.

Die Studie widerlegte damit auch einige Faktoren, die man bis dato als Ursachen für Bauüberhänge vermutete:

  • Zunehmende Größe der Gebäude
  • Bremsfaktoren wie Bürgerinitiativen etc.
  • Genehmigte Vorhaben werden nicht realisiert (die tatsächliche Realisierungsrate liegt bei 93 Prozent)
  • Verschiebung hin zu neuen Bautypen

Laut der Studie wird der Bauüberhang vermutlich erst dann sinken, wenn weniger Genehmigungen erteilt werden. Das BBSR merkt hierzu jedoch an, dass diese Entwicklung wenig wünschenswert und eine hohe Zahl an Baugenehmigungen wichtig ist. Auch eine Verkürzung der Baudauer könnte zu geringeren Bauüberhängen führen. Aufgrund der großen Auslastung und anderer wirtschaftlicher Faktoren ist beides jedoch nicht sehr wahrscheinlich.

In der Studie wird auch darauf hingewiesen, dass sich die Situation seit 2022 durch den Ukrainekrieg und die Energiekrise wieder geändert habe. Die statistische Auswertung von Genehmigungen etc. lässt sich jedoch bislang noch nicht feststellen. Es ist allerdings zu erwarten, dass aufgrund der sinkenden Genehmigungen oder Anträgen an sich auch eine Verringerung des Bauüberhangs zu erwarten ist.

3. Bauüberhänge in München

Die bayerische Landeshauptstadt München war 2021 die deutsche Stadt mit den zweitmeisten Bauüberhängen. Während Berlin an der Spitze 65.800 Bauüberhänge verzeichnete, waren es 36.600 in München und im drittplatzierten Hamburg nur noch 26.500.

Laut der bereits erwähnten BBSR-Studie (S. 39) liegt die Realisierungsrate, also die Zahl der Baufertigstellungen, in München bei unterdurchschnittlichen 75 Prozent. In Hamburg liegt sie im bundesweiten Mittel von 89 Prozent oder in Köln sogar bei 97 Prozent. Lediglich Berlin mit nur 77 Prozent fällt ähnlich deutlich aus der Reihe. Zudem ist in München die Zahl der Problemgenehmigungen, also Genehmigungen, die mehr als drei Jahre zurückliegen, mit 16 Prozent im deutschlandweiten Vergleich ebenfalls sehr hoch. Als Erklärungsansatz bietet die Studie (S. 52), dass es sich beispielsweise um wenige sehr große Bauvorhaben handelt oder Genehmigungsdubletten vorliegen, also mehrere Genehmigungen für ein und dasselbe Grundstück. Auf diesen kann folglich nur ein Gebäude realisiert werden, und zusätzliche erteilte Genehmigungen verbleiben in der Statistik.

So folgert die Studie, dass der Bauüberhang in München eher unauffällig ist und die regionalen Unterschiede an Bauüberhängen lediglich mit der Zahl der erteilten Baugenehmigungen zu erklären ist.

3.1 Baugenehmigungen von Gebäuden (Neubau) und Wohnungen (einschl. Maßnahmen an bestehenden Gebäuden):

Abbildung 2: Baugenehmigungen, Quelle: Statistisches Amt München


3.2 Baufertigstellungen von Gebäuden (Neubau) und Wohnungen (einschl. Maßnahmen an bestehenden Gebäuden):

Abbildung 3: Baufertigstellung, Quelle: Statistisches Amt München

Laut dem statistischen Amt München ist die Zahl der Baufertigstellungen von Wohnungen in der Stadt relativ stabil – im Zehn-Jahres-Intervall seit 2013 ist sie nur leicht zurückgegangen. Auffällig ist allerdings, dass die Anzahl fertiggestellter Gebäude deutlicher zurückgeht. Daraus lässt sich schließen, dass die fertiggestellten Gebäude inzwischen oft deutlich mehr Geschosse haben und damit mehr Wohnungen enthalten.

3.3 Entwicklung des Münchner Bauüberhangs

Das Bayerische Landesamt für Statistik veröffentlicht jährlich Statistiken zu den Bauüberhängen in den Landkreisen und kreisfreien Städten in Bayern. Für alle Neubauten in der Landeshauptstadt München wurden folgende Werte publiziert:

Wohnungen:

Abbildung 4: Bauüberhang Wohnungen (inkl. Bestandsbauten), Quelle: Bayerisches Landesamt für Statistik
Für Wohnungen ergibt sich laut dem Bayerischem Landesamt für Statistik demnach ein derzeitiger Bauüberhang von 35.542 bei reinen und nicht-reinen Wohngebäuden. In der Abbildung sieht man auch, dass 2022 der Bauüberhang erstmals seit 2013 wieder zurückging. Dies könnte mit einem Rückgang der erteilten Baugenehmigungen zusammenhängen. Im Gegensatz zu 2013 ist der Überhang jedoch um fast 40 Prozent gestiegen.
Gebäude:
Abbildung 5: Bauüberhang Gebäude (inkl. Bestandsbauten), Quelle: Bayerisches Landesamt für Statistik

Bei den Bauüberhängen bei Neubauten zeigt sich eine weitaus wechselhaftere Entwicklung. Mit einer Steigerung von nur ca. acht Prozent von 2013 bis 2022 ist die Entwicklung auch als weniger dynamisch einzuordnen.

Beiden – also Wohnungen und Gebäuden – gemein ist, dass der Bauüberhang im Laufe der Jahre deutlich angestiegen ist.

Anmerkung zu den verwendeten Zahlen/Statistiken:
Die hier verwendeten Zahlen und Statistiken für Genehmigungen und Fertigstellungen stammen vom Statistischen Amt München und wurden von diesem selbst erhoben. Es muss erwähnt werden, dass diese Zahlen von den vom Bayerischen Landesamt für Statistik erhobenen Werten abweichen.
Die Zahlen für Bauüberhänge bezieht das Statistische Amt München vom Bayerischen Landesamt für Statistik, welches diese in zwei Kategorien teilt:
1) Bauüberhänge insgesamt – nur Neubauten
2) oder Bauüberhänge insgesamt – inkl. Baumaßnahmen an Bestandsgebäuden.
Die Stadt verwendet als Zahlen für die Bauüberhänge lediglich die Anzahl an Neubauten. In der BBSR-Studie jedoch wurde auf die Daten inkl. Baumaßnahmen an Bestandsgebäuden zurückgegriffen. Die in der BBSR Studie zu findenden Zahlen zum Bauüberhang fallen daher größer aus als die in Abbildung 5 verwendeten Zahlen des Statistikamts München.

Was bedeutet der Münchner Bauüberhang?

Der Münchner Bauüberhang ist aktuell der zweithöchste in ganz Deutschland. Zwar sank dieser Überhang zuletzt, scheint sich jedoch auf hohem Niveau einzupendeln. Tatsächlich ist laut der Studie des BBSR ein Rückgang des Bauüberhangs nicht zwingend wünschenswert, da dieser meist mit einem Abfall erteilter Baugenehmigungen einhergeht. Betrachtet man die derzeitige Situation des Baugewerbes und die konjunkturellen Vorhersagen, kann der sinkende Bauüberhang ein Hinweis auf die große Verunsicherung von Investorinnen und Investoren sein.

Zudem ist Bauüberhang nicht gleich Bauüberhang und viele Gründe können zu einem Ungleichgewicht von genehmigten und fertiggestellten Wohnungen führen. So bedeutet Bauüberhang nicht zwingend, dass Projekte gar nicht realisiert werden und eine Vielzahl an Flächen brach liegt. Oftmals verlängert sich lediglich die Planungs- oder Bauphasen, was mögliche Zwischen- oder Umnutzungsdebatten nichtig macht.

Als positiver Aspekt kann gesehen werden, dass – obwohl weniger Gebäude fertiggestellt werden – die Anzahl fertiggestellter Wohnungen jedoch unterproportional gesunken ist. Dies bedeutet, dass tendenziell mehr Wohnungen pro Gebäude geplant wurden, was aufgrund der Wohnungs- und Platznot in München als Schritt in die richtige Richtung gelten kann.

 

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